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Erinnerung
Gedenktafel für die im Nationalsozialismus verfolgten Heidelberger Sinti

Foto: Judith Pendzialek
In der Heidelberger Steingasse 9 zwischen der Heiliggeistkirche und der alten Brücke befindet sich an der Hausmauer eine Gedenktafel für die im Nationalsozialismus verfolgten Heidelberger Sinti. Diese wurde auf Bestreben des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg unter der damaligen Vorsitzenden Ilona Lagrene initiiert und am 11.05.1993 eingeweiht. Die Plastik aus Sandstein zeigt sich umarmende und tröstende Menschen. Auf der Inschrift darunter ist zu lesen: "Zum Gedenken an die Heidelberger Sinti, die dem NS-Völkermord zum Opfer fielen." Die künstlerische Ausgestaltung übernahm die „Sinti Werkstatt“ im rheinland-pfälzischen Albersweiler. Die „Sinti-Werkstatt“ ist eine Genossenschaft, die die Handwerkstradition der Steinmetzkunst von Sinti fördert. Sie geht auf den evangelischen Kirchentag 1985 zurück, bei dem die Steinmetzkunst präsentiert wurde. Daraus entwickelte sich die Idee der „Sinti-Werkstatt“. In Kooperation mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, der Freudenberg-Stiftung und Projektmittel des Bundesbildungsministeriums entstand zwei Jahre später 1987 die „Sinti- Werkstatt“ in Albersweiler.

Foto: Judith Pendzialek
Quelle
http://gedenkorte.sintiundroma.de/index.php?ortID=38 http://gedenkorte.sintiundroma.de/
index.php?ortID=38
Literatur
Puvogel, Ulrike & Stankowski, Martin: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Bonn 1995, S. 45-46. Delfeld sen., Jacques: Die Bügerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland. Das Beispiel Rheinland-Pfalz. In: v. Mengersen, Oliver (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation. Bonn 2015, S. 233- 244.
Ein Kurzportrait von Ilona Lagrene

Ilona Lagrene in einem Videoausschnitt aus der Veranstaltung „Künstlerische Formen gegen Antiziganismus“ am 18.03.19 im Interkulturellen Zentrum in Heidelberg, in der sie als Gastrednerin
auftrat.
Die Familie Lagrene wohnte seit Jahrhunderten in der Heidelberger Altstadt. Im Jahr 1936 zog die Familie, aufgrund der Vertreibung im Nationalsozialismus, nach Ludwigshafen, wo ihr Vater bei der BASF arbeitete. Am 16. Mai 1940 wurde ihre Familie über den Hohenasberg bei Ludwigsburg im verschiedenen Konzentrationslager deportiert. Viele ihrer Angehörigen wurden in Radom bei Erschießungen oder in Auschwitz ermordet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten ihre Eltern nach Heidelberg zurück. Dort wurde Ilona Lagrene 1950 in der Pfaffengasse in der Heidelberger Altstadt geboren. Die Berichte über die Verfolgung, die Ermordung und das daraus entstehende Leid für die Sinti und Roma im Nationalsozialismus prägten Ilona Lagrene, ebenso die Erinnerungskultur der Minderheit insgesamt, stark. Diese Ungerechtigkeit bewegte Ilona Lagrene, wie ihr Mann Reinhold Lagrene, dazu sich der Bürgerrechtsbewegung anzuschließen.
Unser Respekt gilt Ihrem unermüdlicher Kampf um die Orte der Erinnerung, bei dem sie oft mit dem Gegenwind aus der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert war. Jede öffentliche Errichtung von Denkmälern musste hartnäckig erkämpft werden.
Die Gedenktafel am Bahnhof in Asperg, wo im Mai 1940 die erste große Deportation südwestdeutscher Sinti und Roma erfolgte, konnte erst 1995 (nach dreijähriger Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn AG) eingeweiht werden. Auch die Gedenktafel an der Stiftskirche in Tübingen gingen mehrjährige politische Auseinandersetzungen mit der Stadt Tübingen voraus. Obwohl die Verfolgung von Sinti und Roma hier einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte hatte. Ebenso ist es der Initiative von Ilona Lagrene zu verdanken, dass die Gedenktafel in der Steingasse in der Heidelberger Altstadt angebracht wurde.
Unsere enge Kooperationspartnerin Ilona Lagrene hat uns bei diesem Projekt mit ihrer wertvollen Expertise unterstützt. Leider ist sie 2023 verstorben. Ihr Engagement bleibt dennoch ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.
Erinnern zum Internationalen Holocaust -Gedenktag am 27.01.21
Am Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27.01.2021 erinnert die Arbeitsstelle Antiziganismusprävention an die Opfer des Nationalsozialismus und insbesondere an die ermordet ca. 500.000 Menschen mit Romno-Hintergrund in Europa. Die Heidelberger Lupe sowie die Forschungstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg hat in Kooperation mit uns ein Gedenkvideo aufgenommen. In dem Beitrag verliest die Bürgerrechtlerin Ilona Lagrene und die Vorsitzende des Vereins Heidelberger Lupe Verena Meier ein Gedicht, dass als Teil des Gedichtebands "Djiparmissa. Klassische Gedichte auf Romanes." von Reinhold Lagrene in Romanes überliefert wurde. Ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligte, auch an den Schnitt des Videos Shay Dashevsky.
Literatur
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Ahmed, Aischa; Attia, Iman; Gerstenberger, Olga et al. (Alice Salomon Hochschule Berlin):
Verwobene Geschichte*n. Ilona Lagrene, http://www.verwobenegeschichten.de/menschen/ilona-
lagrene/, aufgerufen am 11.10.19. -
Lagrene, Ilona: Wild und aufregend wie ein „Zigeunermädel“… Sinti-Frauen in der Kurpfalz. In:
Ilse Thomas/Sylvia Schraut (Hrsg.). Bd. 2: ZeitenWandel. Frauengenerationen in der Geschichte
Mannheims. Mannheim 1995 S. 332-343. -
Djiparmissa. Klassische Gedichte auf Romanes. Übersetzt und herausgegeben von Reinhold
Lagrene, Heidelberg 2018